Das Leben darf leicht sein!
von Sabine Merfort,
erschienen im KGS (Körper-Geist-Seele)-Magazin, Ausgabe Mai 2023
Als Kinder sind wir noch in der Lebensfreude, Lebendigkeit, Leichtigkeit, ja in der Glückseligkeit. Wir spielen, lachen, erproben ständig Neues, unser Kopf ist still, da ist kein ständig plapperndes Denkkarussell, wir folgen unseren Impulsen, entdecken mutig neue Terrains, sind mit offenen Herzen und Sinnen unterwegs.
Im Laufe der Zeit kommt uns diese Unbeschwertheit irgendwie abhanden. So viele von uns fühlen sich nicht mehr leicht, lebensfreudig und lebendig. So viele laufen mit Ängsten, Sorgen, Leistungsdruck durch`s Leben, fühlen sich schwer und eingeengt zwischen zu viel Arbeit, To-do-Listen, Terminen und Erwartungen, den eigenen und denen der anderen.
Es ist, als könnten wir nicht mehr frei und lebendig herumspringen und leichtfüßig Impulsen folgen, weil wir einen Haufen Ballast mit uns herumschleppen.
Wir haben auf unserer Reise wahnsinnig viel Gepäck dabei, riesige Koffer, unzählige Taschen und Säcke.
Kein Wunder also, dass wir uns unflexibel, unbeweglich und starr fühlen. Kein Wunder, dass uns das Leben schwer und anstrengend vorkommt.
Aber woraus genau besteht dieser Ballast? Was ist denn in diesen ganzen Taschen und Koffern drin? Was zum Geier schleppen wir da mit uns herum, das uns daran hindert, die Lebensfreude zu fühlen, die doch irgendwo ganz tief noch in uns verbuddelt sein muss und nach der wir uns so sehnen?
Zum einen spielen dabei sicherlich, wie oben angedeutet, so etwas wie Ängste, Sorgen, Leistungsdruck eine Rolle.
Vielleicht sind es aber dazu auch alte Konditionierungen, Glaubenssätze und Gewohnheiten, die dafür sorgen, dass wir uns schwer und eingeengt fühlen. Vielleicht stecken in uns noch alte Ge- und Verbote, wie etwas zu sein oder auf keinen Fall zu sein hat, wie wir selbst sein sollten und auf keinen Fall sein dürfen.
Auch ist in unserer Gesellschaft die Annahme noch weit verbreitet, dass, wenn etwas „gut“ und „richtig“ werden soll (angefangen beim Bewältigen des Alltags bis hin zur Berufsausbildung und dem Arbeiten selbst) der Weg anstrengend und hart sein muss. Als würde der eigene Wert mit dem Maß an Stress und Abrackern steigen.
Gut möglich, dass in unseren Koffern, Taschen und Säcken auch die ständig auf uns einprasselnde Informations- und Nachrichtenflut steckt und uns beschwert und niederdrückt.
Schließlich wissen wir nicht nur von allen (hunderten) Kontakten, die wir in unserem Handy haben, den aktuellen Status; wissen, wer, wann, wo, mit wem verreist ist, einen Ausflug macht, an einer Veranstaltung teilnimmt, sondern wissen durch dutzende Newsletter auch, welche Seminare, Webinare und Kurse es momentan gibt, wissen täglich, ja stündlich aktuell, was in den verschiedensten Ländern der Welt los ist, was die Politik im eigenen Land so treibt, wissen, was bei Aldi oder Edeka im Angebot ist,…
All das ist schweres Gepäck, das an uns klebt und mitgetragen wird.
Hinzu kommt, dass dieses ganze Gepäck natürlich ständig beaufsichtigt werden will, sodass es schon kaum möglich scheint, mal in Ruhe den Blick schweifen zu lassen, geschweige denn, mal ein paar Schritte links oder rechts herum zu laufen…
Dieses sich Abrackern, hart arbeiten, dieses „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, das Zähne zusammenbeißen und „es muss anstrengend sein, wenn es was wert sein soll“ erscheint mir völlig überholt und dennoch stecken so viele von uns darin fest.
Ich glaube, das Leben ist anders gemeint. Wir Menschen sind anders gemeint.
Ich glaube, es ist an der Zeit, das Leben wieder leichter zu leben, den Ballast abzuwerfen, ein paar von den Koffern, Taschen und Säcken auszuleeren oder einfach stehen zu lassen und sich selbst und das Leben nicht immer ganz so ernst zu nehmen, mehr zu spielen, zu lachen,…
Wie wär´s denn, wenn nicht erst die Arbeit und dann das Vergnügen käme, sondern die Arbeit selbst schon Vergnügen wäre?
Wie wäre es, wenn wir uns nicht abrackerten, sondern der Freude folgten?
Wenn wir uns vom Gepäck befreien, uns wieder leicht und frei fühlen, das Leben als Wunder und riesiges Geschenk ansehen könnten?
Wenn wir die Schwere unserer Konditionierungen und Glaubenssätze abschütteln und alle Facetten von uns zum Ausdruck bringen würden?
Aber wie kann es gelingen, den Ballast abzuwerfen?
Ein erster Schritt kann sein, sich selbst die Erlaubnis zu geben, die schweren Koffer stehen zu lassen; die Erlaubnis, dass es auch leicht sein darf. Ja, das Leben darf leicht sein. Vielleicht ist das sogar der größte und wichtigste Schritt.
Weiterhin kann es natürlich sinnvoll und hilfreich sein, die Informations- und Nachrichtenflut im Außen zu reduzieren und stattdessen lieber im Innen zu lauschen, was das eigene Herz für Informationen und Nachrichten bereithält.
Auch Meditation, Yoga, Tanzen, Therapie sind sicherlich einige von vielen Möglichkeiten, um immateriellen Ballast abzulegen.
Eine weitere „Methode“, die meiner Ansicht nach überaus geeignet ist, um sich vom Ballast der eigenen begrenzenden Glaubenssätze, von den Koffern der ständigen Sorgen, den Säcken des Leistungsdrucks und den schweren Taschen des eingefahrenen Denkens zu befreien, ist Improvisationstheater.
Improvisationstheater zu spielen ist ein wundervoller Weg, wieder in die Leichtigkeit, Lebensfreude und Lebendigkeit zurückzukommen.
Beim Improtheater sind weder Text noch Rollen vorgegeben, auch nicht die Handlung oder der Schauplatz für die Szenen. Alles entsteht aus der Magie des Moments heraus.
Impro öffnet nach allen Seiten, öffnet den Kopf, das Denken, das Herz.
Mit den zahllosen Übungen des Improtheaters, die auf ganz spielerische, leichtfüßige Art und Weise Schritt für Schritt aus der Ängstlichkeit, aus der inneren Begrenztheit und dem Kontrollwahn führen, leeren sich Stück für Stück unsere schweren Alltagskoffer.
Wir müssen uns dabei nicht auf unsere Koffer und Taschen mit dem unnützen Gepäck konzentrieren und darauf, wie wir sie loswerden können; auch den Zustand der Leichtigkeit, den wir erreichen wollen, brauchen wir nicht in den Fokus zu nehmen. Das Ballast-abwerfen passiert einfach. Während wir spielen, lachen, mit anderen Menschen in wertschätzender, kreativer Interaktion sind, geschieht das Koffer-Leeren ganz von selbst. Und wir fühlen uns unbeschwerter, leichter, freier.
Wir müssen also nichts neu lernen, erarbeiten, schaffen usw., geschweige denn uns abrackern, um uns wieder lebendiger und leichter zu fühlen, wir müssen auch nicht überlegen, wohin wir den Ballast tun sollen. Es genügt, einfach loszulegen. Einfach wieder spielen, lachen, Neues ausprobieren, Impulsen folgen,…..
Dann merken wir: Es ist alles noch da, das Lebendige, Leichte, die Lebensfreude. Es war nie weg, nur verbuddelt unter den Koffern, Taschen und Säcken des Alltags.
Impro spielen ist ein bisschen wie die Reset-Taste im Gehirn drücken. Plötzlich gibt es wieder mehr Platz, unsere Bandbreite, unser Repertoire an Denk- und Verhaltensweisen wird wieder größer.
Möglicherweise ist dieses Ballast abwerfen aber wie Küche aufräumen, Keller entrümpeln oder Kleiderschrank ausmisten – das müllt sich wieder zu, wenn man nicht aufpasst. Das muss man immer wieder machen, muss dranbleiben oder es von Zeit zu Zeit wiederholen.
Das Tolle am Impro-spielen ist, dass sich die Fähigkeiten, die man dabei ganz nebenbei trainiert, auch ganz wunderbar auf den Alltag übertragen lassen. Die Flexibilität, das Annehmen von Situationen und Mitmenschen, der Mut zum Risiko, das Kontrolle-loslassen-und-vertrauen, die positive Fehlerkultur, das achtsame Zusammenspiel im Team, helfen uns auf der Impro-Bühne genauso wie auf der Bühne des Lebens.
Selbstwert und Improtheater
von Sabine Merfort,
erschienen im sein-Magazin, Ausgabe Juni 2023
Ich bin wertvoll!
Improvisationstheater – ein Weg, sich selbst neu kennenzulernen und anders wahrzunehmen
Wie sehr mag ich mich? Was halte ich von mir? Wie sehr bin ich mit mir als Mensch zufrieden? Und wie gehe ich damit um, wenn ich mal nicht zufrieden bin? Wieviel steht mir meiner Meinung nach im Vergleich zu anderen zu?…
Die Beantwortung dieser Fragen zeigt den Wert auf, den wir uns selbst zuschreiben, unseren Selbstwert. Es ist die grundsätzliche Einstellung, die wir zu uns selbst haben, ganz subjektiv.
Wir geben uns also alle selbst einen Wert.
Warum eigentlich?
Vielleicht weil wir Teil dieser Gesellschaft sind. Einer Gesellschaft, die alles und jeden bewertet. Die Herkunft, den Beruf, die Leistung, das Aussehen, Fähigkeiten und Eigenschaften,…
Offiziell haben alle Menschen den gleichen Wert, sind (vor dem Gesetz) gleich.
Und doch sind ja Bewertungsunterschiede in unserer Gesellschaft deutlich spürbar.
Zum Beispiel sind bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten offenbar wertvoller als andere. Das haben wir schon in der Schule gelernt und erfahren: Es gab die sogenannten Hauptfächer, wie Mathematik und Deutsch, die deutlich mehr wert waren als die Nebenfächer wie Kunst, Musik oder Religion.
Gut möglich, dass sich das dann auch auf den Wert niederschlägt, den wir uns selbst geben, je nach dem, in welchen Bereichen wir unsere Stärken haben.
Allerdings sind es wahrscheinlich sehr viele Faktoren, die Einfluss auf unseren Selbstwert haben.
Zum Beispiel auch das, was wir seit unserer Kindheit über uns gehört und mit der Zeit verinnerlicht haben und uns schließlich selbst im Inneren sagen.
Sätze wie „Nimm dich nicht so wichtig.“, „Was glaubst du, wer du bist.“, „Das kannst du nicht.“ werden später vielleicht zu Glaubenssätzen wie „Ich bin nicht (gut) genug.“, „Ich hab das nicht verdient.“, „Das darf ich nicht.“, „Ich kann das nicht.“,…
Hinzu kommen die ganzen uns bekannten Einordnungen, wie z.B. welches Aussehen besser oder weniger gut ist, welcher Beruf etwas wert ist, welcher eher nicht usw., usw.
All das schränkt unsere Sicht auf uns selbst ein. Wir sehen uns nicht mehr in unserem grundsätzlichen Wert, den wir doch eigentlich alle haben – diesen unermesslichen Wert, den wir aufgrund der Tatsache haben, dass wir Geschöpfe Gottes (des Universums, des Lebendigen) sind.
Durch diese ganzen äußeren Bewertungen wird unser innerer wertvoller Licht-Kern immer mehr verdeckt; spielt keine Rolle mehr. Je mehr Bewertungen darüber liegen, desto weniger kann das Licht nach außen leuchten, desto weniger fühlen wir selbst unser Gold und unser Licht. Wir erkennen unseren Wert als Mensch nicht mehr.
Viele bleiben deshalb unter ihren Möglichkeiten, weil sie meinen, dies oder jenes nicht wert oder nicht gut genug zu sein; andere rackern sich ab und arbeiten über ihre Grenzen hinaus, weil sie denken, erst dann etwas wert zu sein.
Ohne einen gesunden Selbstwert sind wir weniger stabil in schwierigen Situationen, weniger resilient, also anfälliger für Stress.
Umgekehrt kann ein positiver Selbstwert unser Wohlbefinden und unsere Widerstandskraft steigern, ist wie ein seelisches Immunsystem.
Wie wäre es, wenn wir uns alle selbst als durch und durch wertvoll ansähen, wenn uns klar wäre, dass wir allein durch die Tatsache, dass wir ein Mensch sind, unmessbaren Wert hätten?
Wie wäre es, wenn wir uns selbst für wertvoll hielten, unabhängig von äußeren Faktoren wie Leistung und Aussehen?
Wahrscheinlich wären wir glücklicher, entspannter, gelassener, nachsichtiger mit uns und auch mit anderen, vielleicht gesünder, wir trauten uns mehr zu, würden auch andere in ihrem Wert erkennen, es gäbe ein WERTschätzenderes, friedlicheres Miteinander…
Und was hat nun Improvisationstheater mit unserem Selbstwert zu tun? Und was genau ist Improtheater überhaupt?
Improtheater ist eine Form des Theaterspielens, bei der weder Text noch Rollen vorgegeben sind, auch nicht die Handlung oder der Schauplatz für die Szenen. Alles entsteht aus der Magie des Moments heraus.
Improtheater zu spielen kann unsere subjektive Sicht auf uns selbst, unseren Selbstwert also, verändern.
Es kann nämlich ein guter Weg sein, um ein paar Schichten von Bewertungen abzutragen bzw. zunächst einmal ein Weg, um die eigenen Bewertungen (und Be- und Verurteilungen) wahrzunehmen; zu erkennen, wo der innere Zensor und Kritiker sitzt, was er macht und wie fies und destruktiv er manchmal ist.
Impro kann ein guter Impuls und Startpunkt sein, um sich überhaupt erstmal des inneren Kritikers bewusst zu werden.
Und wenn wir lernen, diesen inneren Miesepeter – also die negativen Ansichten und Grundannahmen über uns selbst – zu erkennen, zu hinterfragen und zu verändern, dann können wir unseren Selbstwert stärken.
Das Schöne am Improtheater ist, dass es ein sehr leichter, spielerischer Weg ist. Wir grübeln, analysieren und bewerten(!) nicht, sondern beobachten uns beim Spielen. Nehmen uns und innere Prozesse wahr, lachen viel und überlassen dem Humor einen Großteil der Transformationsarbeit.
Sich selbst wertzuschätzen bedeutet auch, dass alle inneren Anteile da sein dürfen, dass man sich akzeptiert mit allen Facetten; im Gegensatz zu Schule und Gesellschaft, die bestimmte Anteile/Talente/Fähigkeiten negativ bewerten und zum Teil eben nicht erlauben.
Sich selbst wertzuschätzen heißt auch, sich selbst gut zu kennen.
Beim Impro darf alles sein, alle Persönlichkeitsanteile, ob wir sie im realen Leben leben oder nicht; wir dürfen spielerisch in alle Rollen mit ihren unterschiedlichen Zuschreibungen hineinschlüpfen, egal ob Held oder Fiesling, Prinzessin oder Bettlerin.
Auch bestimmte Männer- und Frauenbilder dürfen bedient (oder eben auch nicht) werden. Vorstellungen, was wie zu sein hat, dürfen aufgebrochen werden und Neues, bisher Ungedachtes darf entstehen.
Beim Impro können wir also in verschiedenste Rollen spielerisch hineinsteigen, und dann auch wieder heraus.
Es ist wie ein heilsamer Raum, in dem alles sein darf, unbewertet.
Das Spielen kann uns neue Facetten von uns zeigen, uns zum Leuchten bringen, uns wachsen lassen.
Wir trauen uns mehr und mehr, uns zu zeigen und mit allem, was ist, gesehen zu werden. Verlieren mehr und mehr die Angst vor Fehlern, vor dem sogenannten Scheitern.
Wir trauen uns überhaupt erstmal, den Wunsch zu äußern (oder uns einzugestehen), dass wir im Licht stehen möchten. Und dass wir dazu unser eigenes Licht leuchten lassen und es eben nicht mehr unter den Scheffel stellen wollen.
Und wenn wir weitergehen im Spiel und den strengen Zensor mal in den Urlaub schicken, wird immer öfter etwas Wunderschönes aus unserem Inneren hervorblitzen. Und das darf dann mehr und mehr erstrahlen…
Wenn wir einfach wieder spielen, ohne Gewinner und Verlierer, jenseits von richtig und falsch, besser und schlechter, können wir immer mehr wahrnehmen, wie wertvoll wir grundsätzlich, unabhängig von allen äußeren Errungenschaften und Leistungen, sind. Wie wertvoll, wundervoll und facettenreich das Leben ist…